Internationale Münchner Friedenskonferenz
19. Feb 2018
Die Internationale Münchner Friedenskonferenz ist die inhaltliche Alternativveranstaltung zur gleichzeitig stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz. Auch 2018 wurden wieder Konzepte und praktische Beispiele für gewaltfreie Friedensarbeit vorgestellt. Die Veranstalter der Friedenskonferenz, zu denen auch der Münchner Diözesanverband der internationalen katholischen Friedensbewegung pax christi gehört, vermissen seit Jahren bei politischen Entscheidungsträgern ernsthafte Bemühungen, sich rechtzeitig mit entstehenden Krisensituationen zu befassen und auf internationaler Ebene den ausufernden Waffenhandel zu unterbinden. Am 25. Januar 2018 stellte die renommierte Organisation Bulletin of Atomic Scientists ihre „Weltuntergangsuhr“, die das Risiko einer Atomkatastrophe anzeigen soll, bereits auf zwei Minuten vor 12 Uhr vor. Dieselbe Alarmstufe erreichte sie zuvor erst einmal – 1953 in der eisigen Hochphase des Kalten Kriegs.
I. Internationales Forum „Frieden und Gerechtigkeit
gestalten – NEIN zum Krieg“
[Altes Rathaus, 16. Februar 2018]
I.1 Nela Porobić
Isacović: „Friedensarbeit in Bosnien. Wiederaufbau, Frauen- und Menschenrechte
und sozialer Wandel nach dem Bürgerkrieg“
Feministische Aktivistin aus Bosnien-Herzegowina, Kooperationspartnerin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (WILPF)
Die erste Hauptrednerin des Abends, Nela Isacović, die 1992
mit ihrer Familie von Bosnien nach Schweden floh und erst nach ihrem Studium
nach Bosnien zurückkehrte, unterstrich zu Beginn, dass die Qualität des
offiziell in Bosnien verkündeten Friedens
lediglich an der Abwesenheit von Gewalt, der Zahl der zurückgegebenen
Eigentümer, der Demilitarisierung und Zusammenführung von drei Kriegsparteien in
eine Armee, sowie dem Wunsch Bosniens, der EU beizutreten, gemessen werde.
Diese formellen Indikatoren verkaufe die politische Elite in Bosnien als
Erfolge des Friedensabkommens. Die Internationale
Frauenliga für Frieden und Freiheit (WILPF) hat das Friedensabkommen und
den Prozess des Wiederaufbaus in Bosnien aus feministischer Perspektive
analysiert und Fehlentwicklungen aufgedeckt – wie die Ausgrenzung der
Zivilgesellschaft, die Ausklammerung gewisser Themen und den Neoliberalismus –
und versucht Einfluss zu nehmen auf die Entwicklungen in diesem Land. Nela Isacović
koordiniert die Aktivitäten der WILPF im Rahmen der Initiative „Women
Organising for Change in Bosnia-Herzegovina“. Die bosnische Gruppe tauscht ihre
Erkenntnisse mit Frauen in ähnlichen Situationen aus, z.B. im Dialog mit
Syrerinnen und Ukrainerinnen.
Nela Isacović beklagte, dass bei der Ausarbeitung des Friedensabkommens in Bosnien die Zivilgesellschaft ausgegrenzt wurde. Im Friedensabkommen wurden die wirtschaftlichen und sozialen Rechte, z.B. auf Arbeit, Bildung, Gesundheit, vernachlässigt zugunsten von bürgerlichen und politischen Rechten. Isacović prangerte auch die Ausklammerung vieler Themen durch die Führungskräfte ihres Landes an. Sie deckte eine Reihe von Widersprüchen auf: es fehle ein Wiedergutmachungsprogramm; geplante Verfassungsänderungen seien gescheitert und zementierten damit die Macht der ethnonationalen Elite; der Zugang von Frauen zur Politik, zum Arbeitsmarkt und zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit sei durch patriarchale Strukturen und den ethnonationalen Rahmen stark eingeschränkt. Die Konzeption des Friedensprozesses in Bosnien basiere zudem auf einem neoliberalen Ansatz, der eine Liberalisierung des Marktes, die Privatisierung von Staatseigentum und die Anziehung ausländischer Investoren vorsieht mit einer Reihe negativer Konsequenzen für die Bevölkerung. Nela Isacović appellierte an die bosnische Regierung, bei der kürzlich beschlossenen Reformagenda endlich einen Schwerpunkt auf soziale Gerechtigkeit und Geschlechtergleichheit zu legen.
I.2 Dr. Franz Alt: „Kommt endlich zur Vernunft! Die Friedensbotschaft von Michail Gorbatschow“
Geb. 1938, promovierter Politikwissenschaftler, Journalist, langjähriger Fernsehredakteur im Südwestfunk (Report, Zukunftsredaktion) und Moderator in 3Sat der Magazine Querdenker und Grenzenlos sowie Buchautor
Zweiter Redner des Abends war der Journalist Dr. Franz Alt. Er
bedauerte, dass bei der Münchner Sicherheitskonferenz heute noch der
altrömische Grundsatz: „Wer den Frieden will, muss den Krieg vorbereiten“
gelte, der zu immer neuen Kriegen führe.
Alt präsentierte die neuen Vorschläge Gorbatschows zu Versöhnung, atomarer Abrüstung und Gewaltfreiheit in den internationalen Beziehungen. Dessen Friedensappell „Nie wieder Krieg! Kommt endlich zur Vernunft“ hatte Alt in Buchform im vergangenen Jahr herausgegeben. Er bezeichnete Gorbatschow als „mutigsten und bedeutendsten Politiker des 20. Jahrhunderts“, weil dieser die größte Bedrohung der gesamten Menschheit überwunden hat – einen möglichen Atomkrieg in Europa. Er hatte den Mut zum ersten Abrüstungs-Schritt. In diesem Zusammenhang lobte Alt das historische Abkommen, das die Vereinten Nationen in New York am 7. Juni 2017 verabschiedet haben: Atomwaffen sind ab jetzt verboten. Dieses wäre ohne die Abrüstungspolitik Gorbatschows in den 80er Jahren nicht zustande gekommen, so Alt. Jetzt gerade beginne aber wieder ein neues atomares Wettrüsten zwischen Russland und den USA.
Eine Renaissance der Friedensbewegung müsse heute stattfinden, ebenso wie eine breit angelegte Debatte über Abrüstung von Massenvernichtungswaffen, appellierte Alt. Auch Gorbatschow habe anerkannt, dass er ohne die westliche Friedensbewegung seine Vision einer atomaren Abrüstung nicht hätte durchsetzen können. In seinem Fazit plädierte Alt für eine Neuformulierung des römischen Grundsatzes: „Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten“ und das sei nicht möglich, solange gegen den Geist der Bergpredigt Jesu verstoßen werde.
I.3 Tiffany Easthom: „Was will die Nonviolent Peaceforce“
Direktorin der „Nonviolent Peaceforce“, Genf
Die dritte Rednerin des Abends, die kanadische Rechtswissenschaftlerin Tiffany Easthom war, bevor sie 2016 Geschäftsführerin bei Nonviolent Peaceforce wurde, Country Director in Sri Lanka, Uganda, Indonesien, im Südsudan und im Libanon. Die Nonviolent Peaceforce (NP) ist eine weltweite Friedensorganisation, die von vielen Organisationen und Einzelpersonen in allen Erdteilen unterstützt wird. Die NP entsendet auf Einladung örtlicher Friedensgruppen internationale Teams ausgebildeter ziviler Friedensfachkräfte in Konfliktgebiete. Ihre Aufgabe ist es, das Töten und Zerstören zu verhindern, die Menschenrechte zu schützen und unabhängig von staatlichen Interessen und Parteinahme zum Dialog und zu friedlicher Konfliktbearbeitung beizutragen. Auf diese Weise schaffen sie einen Freiraum, in dem lokale Gruppen in Kontakt miteinander treten und friedliche Konfliktlösungen suchen können. Tiffany Easthom stellte bei der Friedenskonferenz die verschiedenen Methoden der Friedenssicherung durch die NP anhand konkreter Beispiele vor: Schutzbegleitung, z.B. für Frauen im Südsudan, die in einer Konfliktzone Feuerholz sammeln müssen und zuvor sexueller Gewalt und Verfolgung ausgesetzt waren; pro-aktive internationale Präsenz, denn die faktische Anwesenheit von internationalen Teams stärkt die Zivilgesellschaft vor Ort; Einsetzung von Frauenfriedensteams, die zu einem Paradigmenwechsel innerhalb der – wie im Südsudan – männlich dominierten Gesellschaft führten; und zivile Überwachung von Waffenstillständen und Friedensprozessen, z.B. auf den Philippinen und in Syrien.
Eine besondere Ermutigung für die friedensbewegten Teilnehmenden der Konferenz, so Clemens Ronnefeldt vom Internationalen Versöhnungsbund, der gemeinsam mit Heidi Meinzolt von der WILPF den Abend moderierte, war die Verleihung des Friedensnobelpreises an ICAN, die internationale Kampagne für ein Atomwaffenverbot, am 10. Dezember 2017. Ronnefeldt appellierte an die Bundesregierung, das 2017 von den Vereinten Nationen verabschiedete Atomwaffenverbot zu unterzeichnen. Leo Hoffmann-Axthelm, Mitbegründer von ICAN, betonte in seinem Grußwort, dass das Atomwaffenverbot der UN auch die NATO- und Atomwaffenstaaten unter Druck setzt. Es zeige sich nun deutlich, welche Staaten tatsächlich abrüsten und welche nur auf Zeit spielen wollten. ICAN nimmt 2018 an der Sicherheitskonferenz teil.
Musikalisch umrahmt wurde der Abend von den Münchner Saitentratzern.
Reichlich Zeit für eine vertiefte Diskussion der Referate vom Freitagabend bot das „Gesprächsforum“ am folgenden Samstagvormittag im Gewerkschaftshaus. Für dieses Forum standen alle drei Referierenden des Vorabends zur Verfügung.
II. Atomwaffen abschaffen im Spannungsfeld von EU – USA – Russland
[DGB-Haus, 17. Februar 2018]
Bei
der aktuellen Diskussionsrunde im DBG-Haus waren Marion Küpker von der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen abschaffen
(DFG-VK) und der ehem. ARD-Hörfunk-Korrespondent für Osteuropa und Buchautor
(u.a. „Bürgerkrieg in der Ukraine“, 2014) Reinhard
Lauterbach als Redner eingeladen. Johanna Bussemer von der
Rosa-Luxemburg-Stiftung hatte ihre Teilnahme kurzfristig absagen müssen. Heidi
Meinzolt von der Internationalen Frauenliga moderierte das Podium.
Der
studierte Geschichtswissenschaftler und Slawist Reinhard Lauterbach, der seinen
Lebensmittelpunkt derzeit in Polen hat, erklärte, dass Russland und die USA
weiter im Gespräch über eine mögliche Beendigung des Donbass-Konflikts sind.
Ausgangspunkt der neuen Sondierungsgespräche zwischen dem US-Diplomaten Kurt
Volker und dem russischen Präsidentenberater Wladislaw Surkow sei der russische
Vorschlag von September 2017, eine UN-Friedenstruppe entlang der Frontlinie im
Donbass zu stationieren. Dieser Vorschlag war von ukrainischer Seite abgelehnt
worden, scheine sich aber jetzt auf internationaler Ebene durchzusetzen. Nach
einem Waffenstillstand müsste Kiew den politischen Teil der Minsker
Vereinbarung erfüllen: von einem
Gefangenenaustausch, über eine Amnestie für die Konfliktbeteiligten, bis zu
Wahlen nach ukrainischem Recht in den Gebieten Donezk und Lugansk, nach deren
Ende Kiew die Kontrolle über die Außengrenze des Donbass zu Russland
zurückerhalten soll. Voraussetzung für den Einsatz der UN-Friedenstruppe sei
aber ein Waffenstillstand, der derzeit nicht absehbar ist. Die verfassungsrechtlich
aufgewerteten Regionen dienten Moskau als Gegengewicht zur Herrschaft der
Nationalisten und NATO-Anhänger in Kiew und in der Westukraine. Russland
scheine derzeit – ebenso wie andere politische Akteure – auf Zeit zu spielen
bis zu den nächsten Präsidentenwahlen in der Ukraine 2019. Lauterbach rechnet
auf absehbare Zeit weder damit, dass der Konflikt friedlich, noch durch
irgendeine Seite gewaltsam gelöst wird, sondern dass dieser langfristig „eingefroren“
wird.
Marion
Küpker stellte die Kampagne „Büchel ist
überall – atomwaffenfrei. jetzt!“ vor. Diese richtet sich gegen die auf dem
Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel im Rahmen der sog. nuklearen Teilhabe der NATO
stationierten 20 US-Atombomben. Der aus 50 Organisationen und Gruppen
bestehende Trägerkreis „Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen!“ setzte mit dieser
neuen bundesweiten Kampagne 2016 erstmals den Schwerpunkt auf gewaltfreie
Aktionen mit Mahnwachen und zivilem Ungehorsam. Küpker berichtete, dass seitdem
Friedensaktivist*innen jedes Jahr in einer 20wöchigen Aktionspräsenz der
Kampagne – so auch 2018 wieder – ab 26. März in Büchel vor Ort sind. Die
Aktionspräsenz dauert bis 9. August, dem Jahrestag des Bombenabwurfs auf die
japanische Stadt Nagasaki, an. Aktionen der Kampagne 2017 waren u. a. ein
internationales Symposium, organisiert von der Ärzteorganisation IPPNW, vor dem
Haupttor des Fliegerhorsts; eine Andacht am Fliegerhorst Büchel mit dem Bischof
von Trier, Stephan Ackermann, und der Besuch einer 12köpfigen Delegation aus
den USA beim internationalen Camp. Die Kampagne fordert den Stopp der nuklearen
Aufrüstung in Deutschland, den Abzug der Atomwaffen aus Büchel und ein Verbot
von Atomwaffen. Küpker erinnerte daran, dass in den USA nicht erst seit Trump
eine massive Aufrüstung mit Atomwaffen stattfindet. Bereits 2002 hatten Bushs
Militärs weitreichende Pläne für einen künftigen Nuklearkrieg ausgearbeitet. Vorbereitet
wurde der Einsatz neuartiger Mini-Atombomben („mini-nukes“). Präsident Obama
habe kurz vor Ende seiner Amtszeit 2016 die letzte Entwicklungsphase für eine
neue Version nuklearer Bomben gebilligt, die ab dem Jahr 2020 in die Serienfertigung
gehen und danach auch ab frühestens 2024
in Büchel stationiert werden sollen.
Rückhalt findet die Kampagne auch bei der Organisation „Mayors for peace“ mit 7000 Mitgliedern weltweit, davon 500 in Deutschland. Diese Bürgermeister*innen für den Frieden setzen sich für eine Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen und für deren Abschaffung ein. Auch die Landeshauptstadt München ist Mitglied bei „Mayors for peace“. Am 23. Februar 2018 findet um 11.35 Uhr im Bundestag eine Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE „Dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten – Atomwaffen abziehen“ statt.
Den Abschluss der Friedenskonferenz bildete ein Friedensgebet der Religionen am
Sonntag, 18. Februar in St. Anna im Lehel. Als spirituelle Alternative zur Münchner
Sicherheitskonferenz beteten Vertreter*innen mehrerer Religionen unter dem
Motto "Mein Glaube – Dein Glaube. Menschen verschiedenen Glaubens beten
miteinander für den Frieden" für gewaltfreie Konfliktlösungen in der Welt.
Vom Stachus zum Marienplatz: Demonstrieren im Schneetreiben für den Weltfrieden
Im
Zusammenhang mit der Internationalen Friedenskonferenz ist auch die
öffentlichkeitswirksame Straßenaktion zu erwähnen, die aber von einem anderen
friedenspolitischen Zusammenschluss vorbereitet und veranstaltet wurde:
Wie in jedem Jahr hatte das „Aktionsbündnis gegen die sog. Sicherheitskonferenz“
auch 2018 wieder zu Demonstrationen und Kundgebungen rund um die Münchner
Sicherheitskonferenz aufgerufen. Am Samstag, 17. Februar nahmen an der Demo in
der Innenstadt mehrere Tausend Menschen teil, darunter auch pax
christi-Mitglieder. Maria Feckl, pax christi-Mitglied der Gruppe Erding, und Michael
Rösch, ehem. pax christi-Präsidiumsmitglied, wurden von einem BR-Filmteam
begleitet für die Sendung „Stationen“, die am 21.02.2018,19.00-19.30 Uhr unter
dem Titel „Widerstand
– Wogegen wir uns wehren (müssen)“ gesendet wurde. An einer Protestkette,
die zusätzlich zur Demonstration vom Karlsplatz zum Marienplatz gebildet wurde,
beteiligten sich mehrere hundert Menschen. Auch in diesem Jahr blieb der
Protest weitgehend friedlich. Bei der Schlusskundgebung am Marienplatz forderte
der Sprecher der Kampagne
„Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Jürgen Grässlin, die
Teilnehmer*innen der Sicherheitskonferenz in seiner Rede
auf: „Öffnen Sie die Grenzen für Menschen, schließen Sie die Grenzen für Waffen
Bericht: Marion Wittine